Warum stößt du den Anderen weg? Die Wahrheit über deine Angst vor Bindung
Aus einer traumasensiblen Perspektive sind Depressionen oft nicht nur eine "Stoffwechselkrankheit im Gehirn", sondern ein Ausdruck von tiefer innerer Dysregulation – das bedeutet, dein Nervensystem ist aus dem Gleichgewicht geraten. Es ist oft ein sogenannter "Überlebensmodus", eine alte Schutzstrategie deines Systems, um mit überwältigenden Gefühlen oder chronischem Stress umzugehen, die besonders in der Kindheit gelernt wurden.

Die Gründe für Bindungsängste
- Frühe Prägungen und die Suche nach Sicherheit:
- Beispiel: Eine Klientin namens Betty erlebte viel Bindungsabbruch in ihrer Kindheit und lernte, an Beziehungen festzuhalten, auch wenn sie schlecht behandelt wurde. Ihre Strategie war: "Ich sorge dafür, dass ich nicht verlassen werde, indem ich mich anpasse und einfach bleibe." Bei dir ist es vielleicht die umgekehrte Strategie: Du stößt weg, um nicht verlassen oder verletzt zu werden.
- Trauma ist individuell: Trauma ist nicht nur ein großes Schockereignis. Es ist vielmehr eine Erfahrung, die für dein Nervensystem damals überwältigend war und nicht richtig verarbeitet werden konnte. Wenn du in der Kindheit gelernt hast, dass Bindung und Nähe unsicher oder sogar gefährlich sind, dann prägt das dein sogenanntes Bindungssystem.
- Verlust von Sicherheit: Wenn du früh in deinem Leben ein Gefühl von Ohnmacht, Hilflosigkeit oder Ausgeliefertsein erlebt hast – vielleicht durch Vernachlässigung, emotionale Gewalt oder chronische Unsicherheit in den Beziehungen zu deinen Bezugspersonen –, dann kann sich dieses Gefühl im Erwachsenenalter in deinen Beziehungen widerspiegeln. Dein System sucht dann weiterhin nach Sicherheit.
- Der innere Konflikt: Dein Bindungssystem, also dein innerer "Kompass" für Beziehungen, ist eigentlich darauf ausgerichtet, Bindung zu suchen und aufrechtzuerhalten, weil sie überlebenswichtig ist. Wenn du aber gelernt hast, dass Bindung gefährlich ist, entsteht ein innerer Konflikt: Ein Teil von dir sehnt sich nach Nähe und Verbindung, während ein anderer Teil, der dich schützen will, diese Nähe sabotiert oder dich davon wegzuziehen versucht.
- Angst vor Ablehnung und Verlassenheit:
- Beispiel: Wenn du tief davon überzeugt bist, nicht gut genug zu sein, dann kannst du keinem Vertrauen schenken und wirst vielleicht unbewusst Situationen schaffen, die diesen Glaubenssatz bestätigen, auch wenn es wehtut.
- Die tiefste Angst: Die Angst vor Ablehnung und Zurückweisung, die viele von uns kennen, ist oft in Wahrheit die tiefsitzende Angst vor dem Verlassenwerden. Wenn du als Kind erlebt hast, dass deine Bindungsbedürfnisse nicht erfüllt wurden oder sogar bestraft wurden (z.B. mit Liebesentzug), dann kann die Gewissheit entstehen: "Alle werden irgendwann gehen" oder "Niemand liebt mich".
- Selbst-Sabotage zur Bestätigung: Manchmal verhalten wir uns unbewusst genau so, dass eine Zurückweisung wahrscheinlich wird, um unseren eigenen negativen Glaubenssatz ("Ich bin nicht liebenswert") zu bestätigen, weil das für unser System das "Vertraute" und damit "Sichere" ist.
- Wiederholung von Mustern (Reinszenierung):
- Beispiel: Jemand, der als Kind chronisch verlassen wurde, sucht vielleicht immer wieder Partner, die ihn nach einer Weile verlassen, weil sich diese Dynamik "vertraut" anfühlt, auch wenn sie schmerzhaft ist.
- Beispiel: Eine Klientin spürte nach Monaten in einer Beziehung, die ihr gut tat, plötzlich nichts mehr. Ihre Überlebensstrategie in der Kindheit, nichts zu fühlen, um mit einer depressiven Mutter umzugehen, wurde in der Nähe aktiviert und verhinderte, dass sie Liebe spürte.
- Das Vertraute ist "sicher": Dein Nervensystem und dein Bindungssystem suchen unbewusst nach dem, was vertraut ist, selbst wenn es schmerzhaft ist. Das nennt man "Reinszenierung". Du ziehst dann Partner an, die vielleicht unbewusst alte Wunden oder Dynamiken wieder aufleben lassen, weil dein System diese kennt und als "sicher" (weil bekannt) einordnet.
- Schwierigkeiten mit Nähe und Distanz: Beziehungen können durch extreme Schwankungen zwischen Verschmelzung (man ist ganz nah, fast eins) und plötzlichen Kontaktabbrüchen (man zieht sich zurück, fühlt sich einsam) gekennzeichnet sein. Das ist oft ein Ausdruck eines überaktivierten oder deaktivierten Bindungssystems.
- Die Illusion von Kontrolle und Authentizität:
- Beispiel: Wenn du gelernt hast, dich zu sehr anzupassen, um geliebt zu werden, kann das dazu führen, dass du dich selbst verlierst, sobald du in die Nähe eines anderen Menschen kommst. Dies erzeugt oft Angst und Hilflosigkeit.
- Angst vor Kontrollverlust: Wenn du in Beziehungen Kontrollbedürfnisse entwickelst oder dich anpasst, kann das ein Versuch sein, unberechenbare Situationen in den Griff zu bekommen und dich vor Verletzung zu schützen.
- Verlust der Authentizität: Aus Angst vor Ablehnung machen sich viele Menschen kleiner, verleugnen ihre eigenen Bedürfnisse oder versuchen, perfekt zu sein. Dies ist anstrengend und führt dazu, dass du dich selbst in der Beziehung nicht wirklich spürst oder zeigst.
Was hilft und wie gehe ich vor? Der Weg zur Heilung und sicheren Beziehungen
Der Weg, um diese Muster zu durchbrechen, ist eine Reise zu dir selbst, die Geduld, Selbstmitgefühl und oft professionelle Unterstützung erfordert. Es geht darum, neue, korrigierende Erfahrungen zu machen und dein Nervensystem zu beruhigen.
- Suche professionelle Therapie:
- Der wichtigste Schritt: Ein Therapeut oder Coach, der sich mit Trauma und Bindung auskennt, kann dir einen sicheren Raum bieten. Es geht darum, die tieferen Ursachen deiner Verhaltensmuster zu verstehen, anstatt nur die Symptome zu bekämpfen. Trauma heilt in Beziehungen, nicht in Isolation.
- Verständnis statt Verurteilung: In der Therapie kannst du lernen, deine Verhaltensweisen als sinnvolle Überlebensstrategien zu sehen. Das entlastet enorm, weil du merkst: "Ich bin nicht falsch, ich reagiere nur so, wie ich es gelernt habe".
- Du bist nicht allein: Bei tiefgreifenden Bindungsmustern ist Unterstützung von außen entscheidend.
- Entwickle Selbstreflexion und Selbstkenntnis:
- Muster erkennen: Beginne, deine Verhaltensweisen und emotionalen Reaktionen in Beziehungen bewusst zu beobachten. Frage dich: "Wann genau stoße ich weg? Was geht dem voraus? Kenne ich dieses Gefühl schon aus meiner Kindheit?".
- Trigger identifizieren: Finde heraus, welche Situationen, Worte oder Verhaltensweisen bei dir eine starke Reaktion auslösen. Diese Trigger sind Hinweise auf unverarbeitete Erfahrungen.
- Beispiel: Wenn ein Partner sagt "Ich brauche dich", und du sofort Panik bekommst, könnte das ein Trigger sein, der auf eine frühe Erfahrung zurückgeht, in der Bedürftigkeit bestraft wurde.
- Innere Anteile verstehen: Erkenne, dass verschiedene innere Anteile in dir wirken können – der Teil, der sich nach Bindung sehnt, und der Teil, der sich schützt und zurückzieht.
- Beispiel: Ein "kindlicher Anteil" in dir mag Sehnsucht nach Nähe haben, aber ein "Schutzanteil" verhindert das, weil er Angst vor Verletzung hat.
- Mache korrigierende Erfahrungen:
- Sicherheit etablieren: Dein Nervensystem braucht neue Erfahrungen von Sicherheit und Verbundenheit. Sicherheit ist nicht die Abwesenheit von Bedrohung, sondern das Gefühl von Verbundenheit und Gehaltensein.
- Lerne Selbstregulation: Übe, dich selbst zu beruhigen, wenn alte Ängste oder Anspannung aufkommen. Das können einfache Atemübungen oder das Spüren deines Körpers sein. Wenn das allein schwerfällt, suche Menschen, die dich dabei unterstützen können (Koorregulation).
- Baue gesunde Beziehungen auf: Umgib dich bewusst mit Menschen, die dir guttun, dich respektieren und bei denen du dich sicher fühlen kannst.
- Beispiel: Wenn du in der Vergangenheit gelernt hast, deine Gefühle zu verbergen, übe in sicheren Beziehungen, kleine Schritte der Authentizität zu wagen, z.B. zu sagen, wenn du traurig bist, und zu erleben, dass der andere trotzdem da bleibt und dich nicht verlässt.
- Setze gesunde Grenzen und sei authentisch:
- Bei sich sein und verbunden bleiben: Abgrenzung bedeutet, bei dir selbst zu bleiben, während du gleichzeitig mit dem anderen verbunden bist. Es ist die Fähigkeit, "Nein" zu sagen, wenn etwas nicht deinen Bedürfnissen entspricht, ohne die Bindung zu kappen.
- Beispiel: Wenn du dich überfordert fühlst, lerne, das zu kommunizieren, anstatt dich komplett zurückzuziehen. Das erlaubt dem anderen, dich zu verstehen, und stärkt deine Authentizität.
- Vertraue dir selbst: Lerne, deiner eigenen Wahrnehmung wieder zu vertrauen, auch wenn sie dir manchmal widersprüchlich erscheint.
- Bei sich sein und verbunden bleiben: Abgrenzung bedeutet, bei dir selbst zu bleiben, während du gleichzeitig mit dem anderen verbunden bist. Es ist die Fähigkeit, "Nein" zu sagen, wenn etwas nicht deinen Bedürfnissen entspricht, ohne die Bindung zu kappen.
- Praktiziere Geduld und Selbstmitgefühl:
- Heilung ist ein Prozess: Heilung braucht Zeit und ist ein individueller Prozess. Es ist normal, dass es "Rückschritte" geben kann; diese sind oft Teil des Weges.
- Wohlwollen statt Verurteilung: Gehe wohlwollend mit dir selbst um. Wenn du destruktive Anteile in dir erkennst, verurteile dich nicht dafür, sondern versuche zu verstehen, welchen Sinn sie einmal hatten.
- Ersetze Angst durch Neugierde: Statt dich vor dem zu fürchten, was du in dir finden könntest, sei neugierig. Das Schlimmste ist oft schon vorbei; die Erinnerung und die damit verbundenen Gefühle sind das, was dich in der Gegenwart belasten.
Dieser Weg kann herausfordernd sein, aber er führt zu mehr Freiheit, Authentizität und der Möglichkeit, die sicheren und erfüllenden Beziehungen zu führen, die du dir so sehr wünschst. Du bist nicht allein mit diesen Gefühlen und es gibt Wege, sie zu überwinden.
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Aus einer traumasensiblen Perspektive sind Depressionen oft nicht nur eine "Stoffwechselkrankheit im Gehirn", sondern ein Ausdruck von tiefer innerer Dysregulation – das bedeutet, dein Nervensystem ist aus dem Gleichgewicht geraten. Es ist oft ein sogenannter "Überlebensmodus", eine alte Schutzstrategie deines Systems, um mit überwältigenden Gefühlen oder chronischem Stress umzugehen, die besonders in der Kindheit gelernt wurden.

Viele Menschen erleben, dass Zwänge und ein starkes Kontrollbedürfnis unbewusst als eine Art Schutzschild gegen Ängste wirken. Stell dir vor, du hast in der Vergangenheit Situationen erlebt, in denen du dich völlig hilflos und überwältigt gefühlt hast. Als Kind bist du vollständig auf deine Bezugspersonen angewiesen und kannst dich ihnen gegenüber nicht wehren oder fliehen, wenn du dich bedroht fühlst. In solchen Momenten, wo du keine Kontrolle hattest, entwickelt dein System eine tiefe Sehnsucht, diese Kontrolle später wiederzuerlangen.

Deine Schwierigkeiten, dich abzugrenzen, haben oft ihre Wurzeln in früheren Erfahrungen – besonders in deiner Kindheit. Damals konntest du dich gegenüber wichtigen Bezugspersonen, wie deinen Eltern, schlichtweg nicht abgrenzen, weil du vollständig von ihnen abhängig warst und auf sie angewiesen warst, um deine grundlegenden Bedürfnisse nach Nähe, Geborgenheit und Sicherheit zu erfüllen.