Depression: Kein Fehler deines Seins, sondern ein lauter Ruf deines Nervensystems nach Sicherheit
Aus einer traumasensiblen Perspektive sind Depressionen oft nicht nur eine "Stoffwechselkrankheit im Gehirn", sondern ein Ausdruck von tiefer innerer Dysregulation – das bedeutet, dein Nervensystem ist aus dem Gleichgewicht geraten. Es ist oft ein sogenannter "Überlebensmodus", eine alte Schutzstrategie deines Systems, um mit überwältigenden Gefühlen oder chronischem Stress umzugehen, die besonders in der Kindheit gelernt wurden.

Woher kommen Depressionen und was sind Ursachen in der Kindheit?
Hier sind einige Hauptursachen aus der Kindheit, die zu Depressionen führen können:
- Erlernte Hilflosigkeit: Das ist ein ganz zentraler Punkt. Stell dir vor, ein Kind wächst in einer Umgebung auf, in der es immer wieder das Gefühl hat, nichts an seiner Situation ändern zu können, egal was es versucht. Es erlebt chronische Ohnmacht und Hilflosigkeit.
- Beispiel: Ein Kind, dessen weinen oder schreien nie gehört wird, oder das immer wieder erlebt, dass seine Bedürfnisse nicht erfüllt werden, lernt, dass es machtlos ist und nichts bewirken kann. Später als Erwachsener kann sich das so anfühlen, als sei man jeder Autorität unterworfen oder habe keine Selbstwirksamkeit im eigenen Leben. Man glaubt dann vielleicht: "Es hat doch ohnehin alles keinen Sinn".
- Verlassenheit und fehlende Koorregulation: Wenn ein Kind in seiner Not allein gelassen wird und keine sogenannte "Koorregulation" erfährt – das heißt, keine Bezugsperson hilft ihm, seine starken Gefühle zu regulieren und zu beruhigen – dann können sich tiefe Gefühle von Einsamkeit und ungesehenem Schmerz entwickeln. Das liegt sehr nah an depressiven Symptomen.
- Beispiel: Ein Kind, das trauert, weil es einen Verlust erlebt hat (z.B. durch Trennung der Eltern, Scheidung), und dessen Trauer nicht begleitet wird, muss diesen Schmerz wegdrücken oder fühlt sich zutiefst allein gelassen. Dies kann im Erwachsenenalter zu chronischer Traurigkeit oder dem Gefühl von Einsamkeit führen, die schwer zu bewältigen sind.
- Vernachlässigung: Dies gilt als eine sehr tiefgreifende Form der Gewalt, weil sie oft unsichtbar ist, aber gravierende Folgen hat. Vernachlässigung kann emotional, physisch, kognitiv oder sozial sein und bedeutet, dass grundlegende kindliche Bedürfnisse (nach Zuwendung, Sicherheit, Nahrung, Hygiene, geistiger Anregung oder sozialen Kontakten) chronisch nicht erfüllt werden. Dies führt zu dauerhaftem Stress für das kindliche Nervensystem.
- Beispiel: Ein Kind, das emotional vernachlässigt wird, weil die Eltern selbst überfordert oder depressiv sind, lernt, dass seine Gefühle und Bedürfnisse nicht wichtig sind. Es fühlt sich vielleicht "nicht existent". Das kann dazu führen, dass man als Erwachsener Schwierigkeiten hat, eigene Gefühle zu regulieren, oder ein geringes Selbstwertgefühl entwickelt.
- Anpassungsstrategien und Verwechslung mit der Persönlichkeit: Wenn Kinder chronischem Stress ausgesetzt sind (z.B. in unberechenbaren Familienumfeldern, bei narzisstischen Eltern oder durch Überforderung mit früh übertragener Verantwortung wie Parentifizierung), entwickeln sie Überlebensstrategien. Diese Strategien, die damals zum Überleben notwendig waren, werden oft so sehr verinnerlicht, dass sie später als Teil der eigenen Persönlichkeit wahrgenommen werden.
- Beispiel: Ein Kind, das lernt, seine eigenen Bedürfnisse und Impulse zu unterdrücken, um Bestrafung, Ablehnung oder Liebesentzug zu vermeiden, kann später Schwierigkeiten haben, seine eigenen Gefühle wahrzunehmen. Es wird vielleicht sehr angepasst und harmoniesüchtig. Oder ein Kind, das lernt, perfekt zu sein, um Liebe zu bekommen, entwickelt später einen hohen Leistungsanspruch an sich selbst und kann nicht loslassen. Diese Verhaltensweisen können zu chronischer Überlastung und dem Gefühl führen, nie genug zu sein oder nicht wirklich "zu sein".
Wie kann ich dagegen vorgehen? Was hilft?
Der Weg aus depressiven Zuständen, besonders wenn sie auf Kindheitstrauma zurückzuführen sind, ist ein Prozess, der Geduld und Unterstützung braucht. Es geht darum, alte Überlebensstrategien zu verstehen und neue, heilsame Erfahrungen zu machen.
- Professionelle Therapie suchen: Dies ist der wichtigste Schritt, besonders wenn die Depression chronisch ist oder mit schweren Kindheitserfahrungen zusammenhängt. Ein guter Therapeut schafft einen sicheren Raum und hilft dir:
- Die "ungeliebten Gefühle" zuzulassen: Oft geht es darum, die unterdrückten Emotionen wie Trauer, Wut, Angst, Scham oder Schuld, die damals keinen Platz hatten, Schritt für Schritt wahrzunehmen und zu integrieren.
- Beispiel: Wenn du immer gelernt hast, stark zu sein und Tränen zu unterdrücken, kann ein Therapeut dir helfen, einen sicheren Raum zu finden, in dem du deine Traurigkeit endlich spüren und ausdrücken darfst, ohne Angst vor Ablehnung oder Bestrafung.
- Dein Nervensystem zu regulieren: Das bedeutet zu lernen, wie du mit innerer Anspannung und Überforderung umgehen kannst, indem du dich wieder mit deinem Körper verbindest und beruhigende Strategien anwendest.
- Beispiel: Atemübungen oder das bewusste Spüren deiner Füße auf dem Boden (Erdung/Grounding) können dir helfen, im Hier und Jetzt anzukommen, wenn du dich überfordert oder ängstlich fühlst.
- Alte Muster und Überzeugungen zu verstehen und zu wandeln: Du lernst, dass deine heutigen Symptome oft logische Reaktionen auf unnormale Erfahrungen in deiner Kindheit waren. Das Verständnis dafür kann Scham abbauen und den Weg für neue Selbstbilder ebnen.
- Beispiel: Wenn du den Glaubenssatz "Ich bin nichts wert" verinnerlicht hast, hilft dir der Therapeut, seine Ursprünge zu erkennen (z.B. durch abwertende Botschaften in der Kindheit) und neue Erfahrungen zu sammeln, die diesem Glaubenssatz widersprechen.
- Die "ungeliebten Gefühle" zuzulassen: Oft geht es darum, die unterdrückten Emotionen wie Trauer, Wut, Angst, Scham oder Schuld, die damals keinen Platz hatten, Schritt für Schritt wahrzunehmen und zu integrieren.
- Korrigierende Erfahrungen machen: Dein Nervensystem braucht neue, positive Erfahrungen, die sich von den alten traumatischen Erfahrungen unterscheiden, um neue neuronale Bahnen zu bilden und zu lernen, dass die Welt sicherer ist.
- Beispiel: Wenn du als Kind immer Angst vor Ablehnung hattest, kann es eine korrigierende Erfahrung sein, in einer sicheren Beziehung zum ersten Mal ein klares "Nein" zu äußern und zu erleben, dass die Beziehung trotzdem bestehen bleibt.
- Sichere und nährende Beziehungen aufbauen: Sichere Bindungen sind ein wichtiger Schutzfaktor und Heilungsfaktor. Das bedeutet, sich bewusst mit Menschen zu umgeben, die dir guttun, dich sehen und dich unterstützen.
- Beispiel: Wenn du merkst, dass bestimmte Kontakte dir immer wieder Energie rauben oder alte Ängste triggern, kannst du lernen, dich abzugrenzen und stattdessen Zeit mit Menschen zu verbringen, bei denen du dich sicher und wohlfühlst.
- Selbstfürsorge und Selbstmitgefühl praktizieren: Lerne, wohlwollend mit dir selbst umzugehen und deine Bedürfnisse ernst zu nehmen. Deine Überlebensstrategien waren einst hilfreich und verdienen Anerkennung, nicht Abwertung.
- Beispiel: Statt dich selbst zu verurteilen, wenn du dich zurückziehen möchtest, erkenne an, dass dies eine alte Schutzstrategie ist. Schenke dir in diesem Moment die Erlaubnis zur Ruhe und nimm wahr, dass du dich heute selbst versorgen kannst, statt dich rechtfertigen zu müssen.
- Kleine Schritte gehen und nicht aufgeben: Heilung ist ein Weg, keine einmalige Lösung. Es kann Rückschritte geben, die aber oft Wachstumskrisen sind und zeigen, dass etwas in Bewegung kommt.
- Beispiel: Anstatt zu versuchen, deine gesamte Depression auf einmal zu überwinden, setze dir kleine, erreichbare Ziele, die dein Gefühl der Selbstwirksamkeit stärken. Jede kleine gelungene Abgrenzung, jedes bewusste Einatmen ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Du bist nicht deine Traumafolgen, sondern ein Mensch mit viel Kraft und unentfalteten Potenzialen. Es ist ein wertvoller Weg, sich dem eigenen Inneren zuzuwenden, und du musst ihn nicht alleine gehen.
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Stell dir vor, dein Körper ist ein hochsensibles Alarmsystem. Dieses System ist darauf ausgelegt, dich vor Gefahren zu schützen. Wenn es aber in der Vergangenheit zu überwältigenden oder langanhaltenden Stresssituationen gekommen ist – also zu einem Trauma – dann kann es sein, dass dieses Alarmsystem quasi "hängen geblieben" ist oder überempfindlich reagiert.

Viele Menschen erleben, dass Zwänge und ein starkes Kontrollbedürfnis unbewusst als eine Art Schutzschild gegen Ängste wirken. Stell dir vor, du hast in der Vergangenheit Situationen erlebt, in denen du dich völlig hilflos und überwältigt gefühlt hast. Als Kind bist du vollständig auf deine Bezugspersonen angewiesen und kannst dich ihnen gegenüber nicht wehren oder fliehen, wenn du dich bedroht fühlst. In solchen Momenten, wo du keine Kontrolle hattest, entwickelt dein System eine tiefe Sehnsucht, diese Kontrolle später wiederzuerlangen.

Deine Schwierigkeiten, dich abzugrenzen, haben oft ihre Wurzeln in früheren Erfahrungen – besonders in deiner Kindheit. Damals konntest du dich gegenüber wichtigen Bezugspersonen, wie deinen Eltern, schlichtweg nicht abgrenzen, weil du vollständig von ihnen abhängig warst und auf sie angewiesen warst, um deine grundlegenden Bedürfnisse nach Nähe, Geborgenheit und Sicherheit zu erfüllen.