Kontrolle statt Geborgenheit? Warum dein System an Zwängen festhält – und wie du alte Muster durchbrichst
Viele Menschen erleben, dass Zwänge und ein starkes Kontrollbedürfnis unbewusst als eine Art Schutzschild gegen Ängste wirken. Stell dir vor, du hast in der Vergangenheit Situationen erlebt, in denen du dich völlig hilflos und überwältigt gefühlt hast. Als Kind bist du vollständig auf deine Bezugspersonen angewiesen und kannst dich ihnen gegenüber nicht wehren oder fliehen, wenn du dich bedroht fühlst. In solchen Momenten, wo du keine Kontrolle hattest, entwickelt dein System eine tiefe Sehnsucht, diese Kontrolle später wiederzuerlangen.

Warum helfen Zwänge und Kontrolle bei Angst? Was sind die Gründe für diese Muster?
Hier sind einige Gründe, warum Zwänge und Kontrolle entstehen und scheinbar helfen:
- Als Ersatz für fehlende Sicherheit: Wenn dein Gefühl von Sicherheit in der Kindheit chronisch fehlte, zum Beispiel durch traumatische Erfahrungen, dann wird Kontrolle zu einem Ersatz für diese Sicherheit. Dein System versucht, auf diese Weise ein Gefühl von Selbstwirksamkeit zu erzeugen – also das Gefühl, etwas bewirken zu können –, weil das ursprünglich beeinträchtigt wurde.
- Beispiel: Wenn du als Kind erfahren hast, dass dir niemand hilft, wenn du in Not bist, kann der Glaubenssatz entstehen: "Ich muss es alleine schaffen." Das führt dazu, dass du später alles im Blick haben und kontrollieren willst, um dich sicher zu fühlen.
- Angst vor Kontrollverlust und Unberechenbarkeit: Trauma ist im Grunde ein Erlebnis des absoluten Kontrollverlusts. Um dem entgegenzuwirken, versucht dein System, alles zu kontrollieren. Wenn deine Umgebung unberechenbar war, bist du in ständigem Stress und verlierst das Gefühl von Sicherheit und Vertrauen. Kontrolle ist dann ein Versuch, diese inneren Zustände zu managen.
- Beispiel: Eine Person, die als Kind unerwartete Wutausbrüche ihrer Eltern erlebt hat, könnte später versuchen, jede Situation und jede Interaktion penibel zu planen und zu steuern, um unangenehme Überraschungen zu vermeiden.
- Kompensation der Angst vor Ablehnung und Verlust: Eine der tiefsten Ängste, die wir Menschen in uns tragen, ist die Angst, verlassen, abgelehnt oder bestraft zu werden. Zwänge und Kontrollverhalten dienen oft dazu, diese Ängste zu kompensieren. Perfektionismus zum Beispiel kann der zwanghafte Wunsch sein, kompetent und "gut" zu sein, um nicht verlassen zu werden.
- Beispiel: Jemand, der sich als Kind nur geliebt fühlte, wenn er perfekt war, könnte als Erwachsener zwanghaft nach Perfektion streben, um nicht abgelehnt zu werden oder dazuzugehören.
- Anpassung als Überlebensstrategie (Fawn Response): Das "Anbiedern" oder "Gefälligsein" (Fawn Response) ist eine Überlebensstrategie, die es uns ermöglicht, trotz großer Angst und Anspannung in Kontakt zu bleiben, besonders wenn wir eine Bezugsperson fürchten. Dies ist eine Form der Kontrolle, bei der wir versuchen, das Verhalten des anderen zu beeinflussen, indem wir uns anpassen.
- Beispiel: Ein Kind, das gelernt hat, immer lieb und nett zu sein, um Konflikte zu vermeiden und die Zugehörigkeit zu sichern, wird dieses Muster auch als Erwachsener beibehalten, selbst wenn es bedeutet, die eigenen Bedürfnisse zu opfern.
- Vermeidung unangenehmer Gefühle: Zwänge und Kontrolle können auch dazu dienen, intensive oder unangenehme Gefühle zu unterdrücken, zu dämpfen oder sich von ihnen zu dissoziieren (sich abzuspalten). Das Nervensystem ist dann hochgefahren, aber die Energie wird nicht in eine gesunde Reaktion umgesetzt, sondern "eingefroren".
- Beispiel: Anstatt Trauer oder Wut zu fühlen, stürzt sich jemand in exzessive Arbeit (Funktionieren), um die innere Anspannung zu kanalisieren, ohne die eigentlichen Gefühle zu spüren.
- Wiederholung bekannter Muster: Unser Nervensystem und unser Bindungssystem neigen dazu, immer wieder die gleichen Verhaltensmuster zu aktivieren, besonders unter Stress. Auch wenn diese Muster leidvoll sind, fühlen sie sich vertraut und damit auf eine seltsame Weise "sicher" an, weil wir wissen, wie wir uns darin verhalten sollen.
- Beispiel: Wenn du immer wieder Beziehungen eingehst, die dir nicht guttun, kann das daran liegen, dass diese Dynamiken deinem System vertraut sind und unbewusst eine Art Bestätigung alter Erwartungen geben.
Wie komme ich da raus?
Der Weg aus diesen Mustern ist ein Prozess, der Geduld und Selbstmitgefühl erfordert. Es ist eine Reise, auf der du lernst, dir selbst wieder zu vertrauen und deine eigene innere Sicherheit aufzubauen.
- Verständnis und Bewusstwerden:
- Muster erkennen:
- Nervensystem-Regulation lernen:
- Körperwahrnehmung stärken:
- Gefühle halten lernen:
- Sicherheit generieren:
- Korrigierende Erfahrungen machen:
- Beispiel: Wenn du immer Angst hattest, dass andere dich verlassen, wenn du "Nein" sagst, dann ist die Erfahrung, "Nein" zu sagen und trotzdem die Bindung aufrechtzuerhalten, eine korrigierende Erfahrung.
- Alte Glaubenssätze hinterfragen und wandeln
- Beispiel: Der Gedanke "Ich bin nur liebenswert, wenn ich perfekt bin" kann durch bewusste Reflexion und neue Erfahrungen verändert werden.
- Grenzen setzen und kommunizieren:
- Beispiel: Statt indirekt Wut zu zeigen (passive Aggression), lerne, klar auszudrücken, was du brauchst und wo deine Grenzen sind.
- Scham und Schuld begegnen
- Professionelle Unterstützung suchen
- In kleinen Schritten vorgehen
Jeder Schritt, den du in Richtung Selbstwahrnehmung und Selbstfürsorge gehst, ist ein Schritt zu mehr Freiheit und Lebendigkeit in deinem Leben. Du bist nicht deine Traumafolgen, sondern ein Mensch mit unentfalteten Potenzialen.
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Stell dir vor, dein Körper ist ein hochsensibles Alarmsystem. Dieses System ist darauf ausgelegt, dich vor Gefahren zu schützen. Wenn es aber in der Vergangenheit zu überwältigenden oder langanhaltenden Stresssituationen gekommen ist – also zu einem Trauma – dann kann es sein, dass dieses Alarmsystem quasi "hängen geblieben" ist oder überempfindlich reagiert.

Aus einer traumasensiblen Perspektive sind Depressionen oft nicht nur eine "Stoffwechselkrankheit im Gehirn", sondern ein Ausdruck von tiefer innerer Dysregulation – das bedeutet, dein Nervensystem ist aus dem Gleichgewicht geraten. Es ist oft ein sogenannter "Überlebensmodus", eine alte Schutzstrategie deines Systems, um mit überwältigenden Gefühlen oder chronischem Stress umzugehen, die besonders in der Kindheit gelernt wurden.

Aus einer traumasensiblen Perspektive sind Depressionen oft nicht nur eine "Stoffwechselkrankheit im Gehirn", sondern ein Ausdruck von tiefer innerer Dysregulation – das bedeutet, dein Nervensystem ist aus dem Gleichgewicht geraten. Es ist oft ein sogenannter "Überlebensmodus", eine alte Schutzstrategie deines Systems, um mit überwältigenden Gefühlen oder chronischem Stress umzugehen, die besonders in der Kindheit gelernt wurden.